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Belcanto-Feuerwerk in unterkühlter Optik

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Von Thomas Molke / Fotos von Annemie Augustijns

Dass Rossinis letzte große Oper für Neapel, bevor er nach Paris ging, heutzutage eher selten auf den Spielplänen zu finden ist, mag mehrere Gründe haben. Da ist zum einen die Länge der Oper, die schon wagnerianische Ausmaße annimmt, wobei einem bei Wagner immerhin zwei Pausen gegönnt werden. Zum anderen bedarf es eines erstklassigen Ensembles, um die schweren Partien adäquat zu besetzen. Nicht zuletzt erfordert das etwas verworrene Libretto eine Inszenierung, die die Schwächen des Stückes entweder ausgleicht oder sie geschickt umgeht. Mit großer Spannung wurde folglich erwartet, wie das Team um Alberto Zedda und Nigel Lowery mit diesen Schwierigkeiten umgehen würde. Und so viel sei an dieser Stelle schon verraten: In musikalischer Hinsicht ist dieses Experiment in vollem Maße geglückt.

Rossinis melodramma tragico folgt im Großen und Ganzen der gleichnamigen Tragödie von Voltaire und kann als orientalische Mischung aus der Orestie, Hamlet und König Oedipus betrachtet werden. Die assyrische Königin Semiramide hat gemeinsam mit dem Prinzen Assur ihren Ehemann, König Ninus, vergiftet und regiert seit 15 Jahren relativ erfolgreich über Babylon. Aber der Hohepriester Oroe drängt sie auf Anweisung des Gottes Baal, einen männlichen Nachfolger zu bestimmen. Diesen sieht sie in dem jungen Anführer des assyrischen Heeres, Arsace, zu dem sie eine tiefe Zuneigung empfindet. Was sie nicht weiß, ist, dass Arsace ihr Sohn Ninias ist, den der sterbende König damals hatte außer Landes schaffen lassen. Nachdem der Schatten des toten Königs Arsace ermahnt hat, Rache für seinen Tod zu nehmen, offenbart Oroe Arsace seine Herkunft. Semiramide erkennt in Arsace ihren Sohn Ninias, bereut ihre Tat und bittet ihren Sohn, sie zu töten. Dieser plant jedoch aus Liebe zu seiner Mutter, nur Assur für den Mord zur Rechenschaft zu ziehen. In der Grabkammer des toten Königs kommt es zu einer Auseinandersetzung zwischen Arsace und Assur. Arsace holt zum tödlichen Schlag aus, trifft aber seine Mutter, die tot zu Boden sinkt. Assur wird festgenommen, und der verzweifelte Arsace zum neuen assyrischen König ernannt.

Nigel Lowery hat die antike Handlung in die Gegenwart geholt und sich bei seinem Bühnenbild von einem im Irakkrieg zerbombten Palast Saddam Husseins inspirieren lassen. Hussein hatte 1982 begonnen, mit diesem imposanten Bauwerk das antike Babylon wieder auferstehen zu lassen. Auf großen Bühnenprospekten ist der nach dem Fall Husseins im Jahr 2003 nahezu zerstörte Palast zu sehen. Eine Parallele zwischen dem Ende der erfolgreichen Regierungszeit der Semiramide und dem Ende der Diktatur Husseins über das Bühnenbild zu ziehen, ist zwar nicht zwingend notwendig, lässt sich aber nachvollziehen. Schließlich liegt auch Semiramides Welt nach dem Gattenmord in Schutt und Asche. Warum der Bühnenprospekt aber nicht einheitlich beibehalten wird, ist schwer nachvollziehbar. So schließt sich der Palast erst im Laufe des zweiten Aktes mit Prospekten von den Seiten, während zu Beginn nur die Rückfront sichtbar ist und die Seiten den Blick auf kahle Bühnenwände freigeben. Unterstützt wird dieser Brecht’sche Ansatz noch von einem über die Bühne gezogenen Vorhang, der jeweils Szenenwechsel in den einzelnen Akten andeutet. Dieser schwarze Vorhang ist mit so viel Glitter versehen, dass man sich eher in ein amerikanisches Cabaret als in den Irak oder ins antike Babylon versetzt fühlt.  Wesentlich beeindruckender ist der Einsatz des Lichtes (Lothar Baumgarte). Bühnenbild und Kostüme gewinnen dadurch einen giftig grünen Stich, der auf die Ermordung des Königs anspielt. So wirkt die Beleuchtung stets unheilschwanger, bis es mit dem Muttermord zur Katastrophe kommt.

Die Kostüme, für die ebenfalls Nigel Lowery verantwortlich zeichnet, wirken eher lieblos zusammengestellt. So sind Oroe und der Chor in einfache schwarze Anzüge gekleidet, wobei die Priester jeder ein rotes Tuch tragen. Erst später erschließt sich, dass diese Tücher zusammengesetzt wohl einen Blick auf das in Feuer getauchte Bagdad preisgeben. Nachdem Arsace zum neuen Herrscher ernannt worden ist, werfen die Priester nämlich diese Tücher in einen Sarg und holen im Gegenzug aus diesem Sarg ein großes Tuch heraus, in das sie den neuen Herrscher hüllen und welches genau dieses Bild erkennen lässt. Warum Assur aber in einem ockerfarbenen Pullover mit brauner Hose nahezu wie auf einer Opernprobe auftritt, erschließt sich nicht. Auch die von allen heiß begehrte Prinzessin Azema ist optisch eine graue Maus im Sekretärinnen-Outfit. Nur der Titelfigur werden einige aufwändigere Kleider zugestanden, die sie durchaus mondän wirken lassen, was durch ihre blonde Perücke noch unterstützt wird.

Überhaupt wird der Titelfigur eine recht ausgefeilte Personenregie zuteil. Wenn sich der Vorhang zum ersten Mal hebt, steht Semiramide (Myrtò Papatanasiu) einer Doppelgängerin gegenüber, die wie ein Spiegelbild die gleichen Bewegungen ausführt. Was diese Bewegungen bedeuten, lässt sich nur erahnen, da Semiramide bei dem später gezeigten Gattenmord ähnliche Gesten ausführt. Diese Doppelgängerin erscheint immer dann auf der Bühne, wenn sich bei Semiramide das schlechte Gewissen regt. Im Gegensatz zur Königin trägt sie aber stets das hellblaue lange Kleid vom Anfang, wobei sie einen schwarzen Mantel darüber trägt. Erst nach Semiramides Tod erscheint die Doppelgängerin wieder nur in dem blauen Kleid vom Anfang, um sich blutend in einen Sarg zu legen. Auch der tote König tritt in mehreren Gestalten auf. Zunächst schleicht er als eine Art Nosferatu mit überlangen Fingern aus der Gruft, um Oroe das Schwert auszuhändigen, mit dem sein Tod gerächt werden soll. Auch später lenkt er die Handlung, wenn er einen Priester dazu bringt, als Stimme seines Schatten von Arsace zu fordern, Rache für den Mord am König zu nehmen. Beim Muttermord in der Gruft sitzt er in einer kleinen Guckkastenbühne wie Scrooge aus der Weihnachtsgeschichte vor einem Kaminfeuer und wartet, bis Arsace seinen Tod gerächt hat. Erst dann verschwindet er von der Bühne. Ein weiterer Statist stellt den noch lebenden König Ninus auf der Bühne dar, der dann von seiner Gattin und Assur gemeuchelt wird. Diese Sequenz wird ebenfalls als Videoeinspielung gezeigt, wenn Semiramide von Gewissensbissen geplagt wird. Warum Mirtò Papatanasiu in dieser Videosequenz aber nicht die blonde Perücke trägt, wenn sie ihren Gatten mit Assur tötet, bleibt fraglich. Ist sie erst nach dem Mord zum blonden Vamp mutiert?

Die Massenszenen mit dem Chor gelingen Nigel Lowery inszenatorisch nicht immer. So sind die Gesten wie eine Faust, eine Fünf, überkreuzte Arme, wenn sie zur Rache aufrufen, entweder sehr plakativ oder unverständlich. Häufig läuft der Chor auch unmotiviert über die Bühne oder steht einfach nur als Hindernis herum. Wenn Prinz Idreno (Robert McPherson) glaubt, endlich seine angebetete Prinzessin Azema (Julianne Gearhart) ehelichen zu dürfen, baut der Chor aus großen quaderförmigen Steinen eine Mauer, um zu demonstrieren, dass Azema jetzt in der nicht gewollten Ehefalle sitzt. Unterstützt wird dieser Ansatz noch dadurch, dass Idreno seine Braut in den weißen Schleier regelrecht einwickelt und sie dann wie ein geschnürtes Paket von der Bühne zieht. Das ist vielleicht dann doch etwas zu dick aufgetragen, auch wenn es beim Publikum für einiges Amüsement sorgt.

So bleibt festzuhalten, dass Nigel Lowery sich inszenatorisch an diesem Werk wohl ein bisschen verhoben hat. Aber zum Glück steht ihm mit Alberto Zedda am Pult und einem hervorragenden Sänger-Ensemble ein Team zur Seite, das den Abend dennoch zu einem glänzenden Belcanto-Höhepunkt macht. In erster Linie ist hier Myrtò Papatanasiu in der Titelpartie zu nennen, die nicht nur stimmlich, sondern auch optisch in der Rolle absolut überzeugt. Wie eine so schlanke, zierliche Person über ein solch dramatisches Stimmvolumen verfügen kann, ist schier unglaublich. Sie singt und spielt die Semiramide mit einer Dramatik, die unter die Haut geht. Sehr glaubhaft interpretiert sie die innerlich zerrissene Frau, die ihren Frieden nur im Tod finden kann und deswegen bereitwillig ihrem Ende entgegengeht. Mit Ann Hallenberg als Arsace steht ihr eine kongeniale Partnerin zur Seite, die mit ihrem samtigen, warmen Mezzosopran ein herrlich Gegenwicht zu den dramatischen Ausbrüchen Semiramides bietet. Auch Ann Hallenberg gelingen die Koloraturen wunderbar und sie weiß, sowohl in den höheren, als auch in den tieferen Passagen mit einer fundierten Stimme zu überzeugen. Sehr überzeugend gelingt auch dem Bariton Josef Wagner die Rolle des Bösewichtes Assur, selbst wenn er das schäbigste Kostüm des Abends tragen muss. Seine Stimme vermag sowohl seiner verzweifelten Liebe zur Königin, als auch seiner Wut über die Zurückweisung und seinem Triumph bei seiner Rache sehr glaubhaft Ausdruck zu verleihen. Aufhorchen lässt auch der Tenor Robert McPherson als Prinz Idreno. Obwohl seine Rolle für die Handlung eigentlich überflüssig ist, hat Rossini die Rolle dennoch mit zwei halsbrecherischen Arien bedacht, die McPherson mit Bravour meistert. Seine Töne klingen auch in den Höhenlagen nicht gequetscht und werden wunderbar ausgesungen, wobei er mit einer scheinbar spielerischen Leichtigkeit ganze Oktavsprünge meistert. Igor Bakan verleiht dem Hohepriester Oroe mit seinem profunden Bass nahezu diabolisches Ausmaß. Julianne Gearhart als Azema, Eduardo Santamaria als Mitrane, Charles Dekeyser als Ninus’ Schatten und ein hervorragend disponierter Chor unter der Leitung von Yannis Pouspourikas runden das glänzende Ensemble ab.

Und dann ist da natürlich noch der Grandsegnieur des Belcanto: Alberto Zedda. Was Hans Wallat für Wagner ist, ist Zedda sicherlich für Rossini. Kaum ein anderer Dirigent hat sich bezüglich des Pesaresen solche Verdienste erworben. Welche Leichtigkeit er aus dem Orchestergraben herausholt, wie er absolut feinfühlig die Tempi variiert, mit welcher Präzision jeder einzelne Ton sitzt, ist ein absoluter Hörgenuss. Mit so einem Dirigenten werden auch viereinhalb Stunden Rossini nicht zu lang. Zumindest nicht musikalisch. So gab es am Ende stehende Ovationen für das Sängerensemble und für das Orchester. Was das Publikum von der Inszenierung hielt, ließ sich leider nicht messen, da sich das Regieteam in der rezensierten Aufführung nicht dem Publikumsvotum gestellt hat.

FAZIT

Musikalisch ein herausragender Belcanto-Abend, auch wenn die Inszenierung nicht der ganz große Wurf ist.

Source: http://www.omm.de/veranstaltungen/musiktheater20102011/ANT-semiramide.html